Hamburg. Ein sehr offenes Interview mit der Sopranistin, die an der Staatsoper mit Rolando Villazón in „Pelléas et Mélisande“ zu hören ist.

Ein kurzer Satz von ihr erklärt, wie Anna Prohaska tickt. „Ich darf den Kopf nicht langweilen.“ In die Diven-Schublade passt und gehört die Sopranistin nicht, sie ist für klug eigenwillige Konzept-Alben bekannt, wurde schon während des Studiums an die Berliner Staatsoper engagiert. Nun erfüllt sich an der Hamburger Oper ein Jugendtraum: Sie singt zum ersten Mal die Mélisande in Debussys „Pelléas et Mélisande“, der Tenor an ihrer Seite ist dort Rolando Villazón, Kent Nagano dirigiert.

Nach einer langen Probe und mit einem Tee folgte eine Gespräch über ihren Beruf, über ihre Vorlieben und die schlimmsten Momente jeder Opernvorstellung – und darüber, was sie langweilt.

Hamburger Abendblatt: So ganz grundsätzlich: Was ist Glück in Ihrem Job?

Anna Prohaska: Es ist gerade jetzt ein absolutes Glück, hier mit zwei so begnadeten Schauspielern auf der Bühne zu stehen: Simon Keenlyside und Rolando Villazón, die selber unglaubliche Instinkte haben, eine Natürlichkeit, auf Text, Partner, Licht zu reagieren, aber auch individuell mit einem zu spielen und immer in der Rolle zu bleiben. Das ist wirklich so. Oft steht man ja mit Holzregalen auf der Bühne, die nicht mit einem spielen – keine Liebe, keinen Hass, keine Kälte. Und die Regie gibt uns hier ein weites Korsett, einen Rahmen, an den man sich halten muss, in dem wir uns relativ frei bewegen können.

"Keine Macht über den Cast"

Für Sie ist diese Mélisande ein Rollendebüt. Haben Sie sich die Kombination mit Villazón hier konkret wünschen können? Hat Nagano es Ihnen schon in München versprochen, wo Sie unter seiner Leitung in Widmanns Oper „Babylon“ sangen?

Ich habe keine Macht über den restlichen Cast. Es war eher umgekehrt, ich wurde gefragt, was ich mir hier zu singen vorstellen konnte. Einiges konnte ich aus terminlichen Gründen nicht annehmen, dann haben wir langfristig geplant. Mélisande ist seit fast 20 Jahren eine Traumrolle von mir, die ich immer gern gesungen hätte, weil ich mein Operndebüt damals mit der Knabenrolle des Yniold gegeben habe, 2000, mit 17, war die Premiere. Das war eine Studentenproduktion im Rahmen der Musikhochschule Hans Eisler in Berlin. Und in der Kommission saß damals Robert Wilson, der mir nach der Premiere gratuliert hat, das werde ich auch nie vergessen.

Und der aktuelle Yniold muss sich warm anziehen, weil Sie noch genau wissen, wie die Partie läuft.

Manchmal kriege ich immer noch einen Schreck, in der Szene direkt davor, weil ich denke: Oh, das ist doch meine Auftrittsmusik! Aber dann: doch nicht…

Rolando Villazón ist Prohaskas Gesangs-Partner

Rolando Villazón kennen Sie seit langer Zeit. Blöd wäre, wenn bei einer Produktion die Chemie nicht stimmen würde.

Ich habe so etwas einmal mit einer Kollegin erlebt. Ich hatte eine Hosenrolle, musste spielen, dass ich in sie verliebt bin und da kam so was von überhaupt nichts zurück. Nur ein eisiger Blick. Dann habe ich sie sooo verliebt angeschwärmt, dass sie nicht anders konnte, als irgendwie zu reagieren.

Der Bariton Bo Skovhus hat mir erzählt, es sei ganz fürchterlich, wenn direkt neben einem eine Sopranistin extrem laut singt, man werde da fast taub. Kennen Sie dieses Problem auch, nur mit brüllenden Tenören?

Oh, ja, mit einem Kollegen, den ich sehr liebe und bewundere und der vielleicht die lauteste Stimme hat, die ich je gehört habe: Graham Clark. Wir haben im Berliner Schillertheater „METANOIA“, eine moderne Oper, gemacht. Da stand er relativ weit weg, einige Meter, und uns allen sind fast die Ohren abgefallen bei seinem hohen C, das er da rausgeknallt hat. Es war fantastisch, toll, es klang ja nicht hässlich. Aber direkt ins Ohr singen, das ist mir noch nicht passiert.

"Zu 50 Prozent Hochleistungssportler"

Sie hatten 2014 eine Kehlkopfentzündung. Wie ist es, dann wieder in den Sattel zu wollen, aus dem einen das Schicksal – oder falsche Technik – geworfen hat?

So eine Entzündung ist erstmal nicht so selten und nicht so dramatisch. Uns Sängern zieht so etwas aber den Boden unter den Füßen weg.

Das eigentliche Problem ist aber doch psychologisch.

Absolut. Wir sind nicht nur Künstler, sondern zu fünfzig Prozent auch Hochleistungssportler. Wir können nach so etwas nicht sofort wieder voll anfangen. Wir müssen die ideale Schnittstelle zwischen Spannung und Entspannung finden, das lernen wir unser ganzes Leben lang und immer wieder neu.

Und dann muss man sich noch gegen das eigene Management wehren, das einen verfrüht in zu schwere Rollen drängen will.

Ich hatte, toitoitoi, nie ein Management, das mich je zu so etwas gedrängt oder gezwungen hätte.

Angebote von Barenboim und Abbado

Fällt Ihnen das Neinsagen leicht?

Nein, natürlich nicht! Natürlich gibt es gewisse Traumpartien, die ich lieber früher als später singen würde, es gibt auch unrealistische…

… Wagners Brünnhilde…

… da weiß ich sowieso, dass ich das nie singen kann und werde, ich kann mich also ganz in Ruhe in eine Wagner-Oper setzen und das genießen. Bergs Lulu wurde mir schon sehr früh in meiner Karriere angeboten, von Barenboim und Abbado, ich musste gegen viele innere und äußere Widerstände ankämpfen, um nein zu sagen. Und ich bin so froh, dass ich nein gesagt habe. Das hätte mich meine Stimmgesundheit kosten können.

Fühlt es sich sonderbar an, wenn Ihre Stimme reift und Sie aus den Koloraturrollen in andere Charaktere herauswachsen?

Gar nicht. Ich gehe Schritt für Schritt da hin, wohin meine Stimme mich führt.

Es geht real auf die Nerven, dass man auf das Koloraturzwitschern reduziert wird?

Ich hatte das Glück, dass ich diese Partien mit sehr spannenden Regisseuren arbeiten konnte, unter anderem mit Michael Thalheimer oder Katie Mitchell... Das war immer sehr vielschichtig und interessant, weil die dieses Soubretten-Klischee niemals hätten gelten lassen.

Wie eine Sängerin Liederabende organisiert

Ein Liederabend ist klarer durchorganisiert, da müssen Sie nicht ständig Szenisches liefern. Wünschen Sie sich das manchmal: ein schöner Liederabend, ich stell mich vors Klavier und fertig ist die Laube?

Nein. Liederabend ist das Genre, vor dem ich den meisten Respekt habe, das am anstrengendsten ist und die meiste Vorbereitung – und Ruhe drumherum – bedeutet. Wer sagt, das singt man doch auf einem halben Stimmband runter… diesem Druck ausgesetzt zu sein, vollkommen allein da zu stehen. Wir müssen da alles auswendig singen, alles hintereinander weg… Ich stelle meistens ziemlich komplexe Programme zusammen, mit einem roten Faden... Das ist für mich die größte Herausforderung. Bei einem Liederabend müssen die Stimmbänder blitzblank geputzt werden. Und man muss es sich so angenehm wie möglich machen: schönes Hotel, nicht zu früh reisen, nicht zu knapp hintereinander…

… und schon gilt man als schwierig.

Vielleicht. Aber ich bin ja die, die da oben steht und gesund bleiben muss.

Sind Sie durch Ihre Konzeptprogramme für das gängige Bunte-Teller-Arien-Sortiment – eine Markierung auf der Bühne, dies und das und ein paar launige Ouvertüren zwischendurch – inzwischen verloren?

Mich interessiert das nicht so sehr, auch als Zuhörer nicht. Ich finde das langweilig. Ich verstehe, wenn andere Sänger es sich leicht machen. Aber: ich nicht.

Was Anna Prohaska privat liebt

Gibt es Komponisten, mit denen Sie nicht warm werden?

Das Genre des klassischen Belcanto: Bellini, Donizetti.. Ich respektiere alle, die diese Musik fantastisch singen. Aber für mich ist da im Orchester nicht genug los. Mein Belcanto, mit dem ich meine Stimme öle, das ist Barock. Händel schreibt einem Gold in die Kehle hinein.

Wie lange können Sie ohne den Applaus und die Wahrnehmung durchs Publikum sein?

Ich war nie eine dieser Gala-Sängerinnen, immer der Mittelpunkt von allem. Ich bin eher Teamplayer, jemand, die Ensembles genießt. Und ich genieße meine Freizeit unglaublich. Dann plane ich Reisen, ich liebe Wandern, Museen. Über Ruinen klettern und alte Tempel anschauen, dann bin ich glücklich.

Haben Sie Rezepte gegen Kolleginnen und Kollegen mit dem Sternzeichen Rampensau?

(lacht) Einmal war ich schon ziemlich vor den Kopf gestoßen, als mich ein Einspringer, mit dem ich nicht vorher geprobt hatte, auf der Bühne komplett herumdrehte, damit er beim Duett nach vorn singen konnte. Der hat mich so festgehalten, ich wollte mich rauswinden und das ging nicht. Man muss sich Verbündete im Haus suchen, mit denen man über so etwas spricht. Es bringt nichts, gegen einen Star anzukämpfen, und am Ende fliegt man selber raus, obwohl man das Problem gar nicht verursacht hat. In diesem Beruf ist alles ein Drahtseilakt. In diesem Business hat nur jemand einen Wert, der Karten verkauft und als Star gehandelt wird. Musikalische und stimmliche Qualität hat in letzter Zeit immer mehr an Wert verloren, das finde ich sehr erschreckend.

"Der schlimmste Moment ist in der Garderobe"

Dann sind Sie nur eine Ware?

Letztendlich schon. Man hat zu funktionieren. Und wenn man diese Funktion nicht mehr erfüllt, wird man fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel.

Die Sekunden direkt vor Vorstellungsbeginn: Sind das die tollsten Momente in Ihrem Beruf – oder die schlimmsten?

Der schlimmste Moment ist in der Garderobe, kurz bevor man die verlässt. Weil man sich dann noch mal im Spiegel sehen kann und denkt, oh Gott, was machst Du da? Aber dann, hinterm Vorhang, da will ich schon, dass er hoch geht. Dass es endlich losgeht.

Also doch Zirkuspferd.

Ja. Genau. Absolut.

Wie geht für Sie dieser Satz weiter: „Der Beruf der Sängerin ist…“?

… nicht zu unterschätzen (lacht).

Vorstellungen: 15. / 17. / 20. / 23.11., jeweils 19 Uhr, Staatsoper. Karten (6 bis 109 Euro) unter T. 356868. www.staatsoper-hamburg.de.